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Hannes
BeitragVerfasst am: Fr, 16 Jan 2015 - 18:01  Antworten mit Zitat
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Anmeldungsdatum: 25.03.2010
Beiträge: 660

Ich möchte hier nochmal eine Sache zur Diskussion stellen, die proc in einem anderen Thema aufgeworfen hat, aber meines Erachtens ein Thema für sich ist.

proc hat folgendes geschrieben:
Dann spielt noch eine andere Geschichte rein, die ich als bezeichnend für englische Comps ansehen würde und was auf der letztjährigen IF-Comp ganz schlimm war: Die "Feedbacks" werden im Wesentlichen offenbar rückbetrachtend aus Walkthroughs generiert und begeben sich dann sogleich auf eine Metaebene, was ein Spiel sagen könnte ohne es überhaupt spielen zu müssen. In der Review-Produktion von 36 (bisweilen mehr) Spielen dürfte das auch gar nicht mehr anders möglich sein, was für mich die Frage aufwirft: Wird da überhaupt noch "gespielt" im Sinne einer Beschäftigung mit dem Spiel? Kann das bei dieser überbordenden Zahl von Spielen überhaupt noch möglich sein? Und im Folgeschluss: Was bringen bei solchen eingeübten Verhaltensweisen Feedacks überhaupt?

Das ist leider auch mein sich seit vielen Jahren immer weiter steigernder Eindruck. Bei der letzten IF Comp gab es sogar Äußerungen, die offen eingestanden hauptsächlich auf der Grundlage wiederum anderer (unverifizierter) Veröffentlichungen über das jeweilige Spiel entstanden waren. So nach dem Motto „Ich bin selbst nicht weit gekommen, aber woanders habe ich gelesen, dass… Sowas ist scheiße!“ (SKA).

Irgendwo muss man sich fragen, wenn das so ist, wo dann noch der Sinn eines interaktiven Mediums sein soll, wenn niemand mehr interagieren möchte. Die IF Comp wird ja auch immer mehr von Werken geringen Interaktionsgrades heimgesucht, die auch nicht mal notwendigerweise schlecht abschneiden. Das von Bob Bates immer sehr treffend formulierte Paradigma, dass man sich in Adventures zu 90% der Spielzeit mit Dingen abseits des Lösungswegs beschäftige, und diese Bereiche deshalb besonders gut ausgestaltet sein müssten, ist damit ja völlig ad absurdum geführt.

Meine Frage: Was ist euer Eindruck? Trifft die Beobachtung procs zu? Ist es in Deutschen Kreisen anders? Welche Schlüsse sollten wir alle – als Autoren und Spieler – daraus ziehen? Und woran liegt es?
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proc
BeitragVerfasst am: Sa, 17 Jan 2015 - 0:16  Antworten mit Zitat
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Anmeldungsdatum: 08.12.2009
Beiträge: 923
Wohnort: Berlin

Der Eindruck, ein Review basiert auf dem Walkthrough (was vor allem viele "Gurus" offen zugeben), muss für Autoren verheerend sein -- möglicherweise so sehr, dass sie sich wünschten, ihn niemals mitgeliefert zu haben. Mir ist das Walkthrough-Gespiele in Reviews der letzten Jahre gehäuft aufgefallen, aber so massiv wie vergangenes Jahr auf der IF-Comp war es zumindest bei den wenigen verbliebenen Parserspielen noch nie. Für mich ist das eine Tendenz hin zur Review-Produktion als Unterhaltungselement im Unterschied zu den aussterbenden Reviews als ehrliche persönliche Einschätzung eines Spielers, die nunmal Beschäftigung verlangt und damit die äußerst knappe Ressource Zeit beansprucht. Den meisten Leser/innen genügen Kopien von Kopien von Guru-Infos, um mitreden zu können ohne selbst spielen zu müssen, die Gurus vermuten sich diese Infos anhand des Walkthroughs aus dem Ärmel schütteln zu können, voilà Leute, so sieht IF aus. Dieser verflachte Info-Markt scheint zu wachsen und neuerdings (so seit 2-3 Jahren) konsequent bedient zu werden. So meine persönliche Einschätzung jetzt allerdings nur nach vier Jahren der intensiveren Beschäftigung damit.
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Hannes
BeitragVerfasst am: Sa, 17 Jan 2015 - 17:13  Antworten mit Zitat
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Anmeldungsdatum: 25.03.2010
Beiträge: 660

Ich kann immerhin sagen, dass keine Lösung beizulegen die Angelegenheit auch nicht löst. Das habe ich beim Spring Thing ja so getan und es führte nur dazu, dass zwei der drei Reviewer es überhaupt nicht angefasst haben und der dritte (SKA) nach dem ersten Drittel aufgab und von seinen oberflächlichen Eindrücken bis dahin extrapolierte. D.h. er riet einfach, was wohl noch wie passieren würde, und bewertete diese seine eigene Fiktion des Spieles.
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proc
BeitragVerfasst am: Di, 20 Jan 2015 - 0:42  Antworten mit Zitat
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Anmeldungsdatum: 08.12.2009
Beiträge: 923
Wohnort: Berlin

Dahingehend würde zum Thema mich besonders interessieren: Wo ist das Gefühl besser, in den Walkthrough-Reviews z.B. von Black Lily, wie ich das jetzt einschätzen würde, oder in der recht selektiven Wahrnehmung von Mister P. mangels Walkthrough? Allein die Notwendigkeit dieser Frage geht ja schon in die Richtung des Topics, das ich verschärfend formulieren wollte: Haben für Gurus Spiele ohne Walkthrough überhaupt eine Chance, wahrgenommen zu werden? Und dann noch den entscheidenden Schritt weiter: Existieren Spiele überhaupt, die nicht so angelegt sind, dass sie von Gurus wahrgenommen werden? Das ist zwar alles völliger Bullshit, aber in meinen Augen heute Realität: "Gute" Spiele werden absichtlich so gemacht, dass sie in der Guru-Szene landen können. Okay, das ist vielleicht etwas überspitzt formuliert, aber dieses überbordende Walkthrough-Gespiele ist ja nun auch nicht ganz im Sinne der Autor/innen.
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paul
BeitragVerfasst am: Di, 20 Jan 2015 - 6:19  Antworten mit Zitat
Wasserträger
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Anmeldungsdatum: 27.01.2014
Beiträge: 68
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Kurze Zwischenfrage: mit "Gurus" ist wer genau gemeint?
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proc
BeitragVerfasst am: Di, 20 Jan 2015 - 15:36  Antworten mit Zitat
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Anmeldungsdatum: 08.12.2009
Beiträge: 923
Wohnort: Berlin

paul hat folgendes geschrieben:
Kurze Zwischenfrage: mit "Gurus" ist wer genau gemeint?

Na emshort & Konsorten.
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Hannes
BeitragVerfasst am: Di, 20 Jan 2015 - 23:46  Antworten mit Zitat
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Anmeldungsdatum: 25.03.2010
Beiträge: 660

Also das, was du, proc, hier als „Gurus“ bezeichnest, sehe ich gar nicht mal so zugespitzt als Problem. Es gibt auch unter denen durchaus brauchbare, genauso wie es Schwachsinn von Namenlosen gibt. Und selbst unter den „Bekannteren“ gibt es ja so einige, die keinesfalls „einflussreich“ sind, sondern im Gegenteil ebenfalls nur reproduzieren.

Generell sehe ich aber leider schon einen starken Wasserfalleffekt. Wenn die ersten paar Veröffentlichungen zu einem Spiel sich grob einig sind, dann werden abweichende Meinungen sehr unwahrscheinlich – denn wer will sich schon potentiellem Spott anderer aussetzen, indem er sich gegen die Mainstreammeinung stellt? Da wünscht man sich dann beinahe die alte Regel der verbotenen Diskussionen zurück, wo sich immerhin jeder selbst eine Meinung bilden musste.

proc hat folgendes geschrieben:
Dahingehend würde zum Thema mich besonders interessieren: Wo ist das Gefühl besser, in den Walkthrough-Reviews z.B. von Black Lily, wie ich das jetzt einschätzen würde, oder in der recht selektiven Wahrnehmung von Mister P. mangels Walkthrough?

Tja, schwierig zu sagen. Momentan sehe ich es so, dass eine mitgelieferte Lösung immerhin auch vernünftigen Menschen eine Betrachtung ermöglichen kann. Gerade Emily beschäftigt sich trotz extensiven Gebrauchs solcher Lösungen ja trotzdem immerhin ganz vernünftig mit den Spielen, versucht sie zu verstehen, wie sie wohl gedacht waren.

proc hat folgendes geschrieben:
"Gute" Spiele werden absichtlich so gemacht, dass sie in der Guru-Szene landen können.

Das trifft es im Kern leider schon, danke ich. Aber, wenn man sich die IF Comps der letzten fünf Jahre oder so anguckt, dann sind die jeweiligen Erstplatzierten ja interessanterweise kaum jemals diejenigen, die von den von dir so verhassten Meinungsführern präferiert wurden. Diese gehypten Spiele räumen dafür dann ja stattdessen meist bei den Xyzzys ab.

proc hat folgendes geschrieben:
dieses überbordende Walkthrough-Gespiele ist ja nun auch nicht ganz im Sinne der Autor/innen.

Das ist gar nicht mal so klar. Es hängt davon ab, wie ein Spiel designed ist. Mir kommt es auch immer mehr so vor, dass Spieldesigns diesem Trend auch angepasst werden; d.h. man designed einen starken Plotfaden, aber links und rechts davon herrscht große Leere. Was in gewisser Weise sogar eine Rückbesinnung auf die Anfänge des Genres ist, als der Walkthrough auch alle implementierten Befehle enthielt. Während in der kommerziellen Endphase ja das genaue Gegenteil als Ideal galt. Wenn man sich relativ sicher sein kann, dass die meisten nach Walkthrough spielen, spart man sich den Großteil des Entwicklungsaufwandes.

Das zeigt aber auch das eigentliche Dilemma, ob Walkthrough oder nicht: Was soll man bei einem Spiel, das nicht dermaßen fokussiert ist, da reinschreiben? Was also bei einem Spiel, das seine Aussagen nicht absolut explizit vermittelt, sondern implizit? Die Aufstellung einer „idealen“ Lösung ist damit unmöglich. Dies wird jedoch weitgehend erwartet.
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proc
BeitragVerfasst am: Do, 22 Jan 2015 - 0:12  Antworten mit Zitat
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Anmeldungsdatum: 08.12.2009
Beiträge: 923
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Hannes hat folgendes geschrieben:
beschäftigt sich trotz extensiven Gebrauchs solcher Lösungen ja trotzdem immerhin ganz vernünftig mit den Spielen, versucht sie zu verstehen, wie sie wohl gedacht waren.

Ein schöner Schlüsselsatz: Der springende Punkt ist, wie denn die Spiele gedacht sein könnten, wenn z.B. (wie üblich) eine Einzellösung angeboten wird um die Walkthrough-Pflicht zu bedienen. Ich hatte in der IF-Comp mehr Probleme mit der Kolportierung von möglicherweise auf Grundlage der Lösungen Gedachtem als zuvor mit den Spielen selbst. Oder noch etwas umfassender formuliert: Bei der letzten IF-Comp hatte ich erstmals so richtig den Eindruck, mitgelieferte Walkthrougs könnten kontraproduktiver sein als nützlich, weil sie die Spielaussage eben mehr verschütten als auszugraben zu helfen. Was will man erwarten: 36 Games in 6 Wochen zu bewerten heißt täglich außer Sonntags eins, also Werk- und samstags täglich zwei Stunden. Das hält keiner durch. Als erfahrener Rezensent bietet sich eine andere Lösung an: etwas antickern und dann den Walkthrough spielen um zu sehen, was gemeint sein könnte. Meist wird eine pragmatische Selektionslösung verfolgt. Das Ergebnis ist so oder so ungünstig: Bei der Selektion geht es in der Mitte der Gaußkurve erstmal um bekannte Namen, in zweiter Linie um das, was andere schon darüber gesagt haben und in letzter Linie um die noch verfügbare Zeit. Die erste Lösung bedient die zweite, die zweite beeinflusst die erste, die letzte ist Notstopp am Schluss.

Eine erste Entwicklung hat sich ja schon abgezeichnet: Immer mehr Spiele verzichten auf Lösungen, weil die Notwendigkeit entfällt, die Zahl ist noch gering (etwa Krypteia, Venus, Raik). Die zweite sehe ich schon kommen: Walkthroughs werden. wo nötig, Spieler absichtlich in die Irre führen und nicht mehr nur versehentlich, da sie zu einem wesentlichen Aufmerksamkeitskriterium abseits von Hilfestellung geworden sind. Irgendwann verbrauchen sie sich dann.
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