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<  Rezension: Galatea [leichte Spoiler]
Ally
BeitragVerfasst am: Do, 20 Feb 2003 - 23:29  Antworten mit Zitat
Kompassleser
Kompassleser


Anmeldungsdatum: 25.08.2002
Beiträge: 142

Titel: Galatea
Von: Emily Short (2000)
Besonderheiten: Gewinner der Spring 2000 IF Art Show
Plattform: Z-Machine
Typ: Text, Parser
Sprache: Englisch
Homepage: http://emshort.home.mindspring.com

Wie groß ist das durchschnittliche Textadventure, und wieviele Nichtspielercharaktere enthält es? Mit knapp 260KB ist "Galatea" größer als jedes Infocom-(Text-)Adventure, dennoch enthält es lediglich einen einzigen Raum -- und Galatea. Galatea ist, der Sage nach, eine Statue des Bildhauers Pygmalion. Dieser verliebt sich in sein Werk, und es erwacht zum Leben. In Emily Shorts "Galatea" landet die Arme daraufhin in einer Ausstellung -- erwachte Statuen sind nichts Neues in der Spielwelt. Die Spielerfigur, einE KunstkritikerIn, ist gekommen, um über das neue Ausstellungsstück zu berichten.

Galatea, die lebendige Statue, ist natürlich weit mehr als ein statisches Objekt, mehr auch als eine reine Informationsquelle, die auf Zuruf (Stichworte) mit Auskünften rausrückt. Ihre Stimmung hängt ganz davon ab, wie sich die Spielerfigur ihr gegenüber verhält: abrupte Themenwechsel oder taktlose Neugier können aufkeimendes Vertrauen wieder zunichte machen. Es versteht sich von selbst, daß auch Vertraulichkeiten oder Gewaltanwendung vom Parser nicht mit einem lapidaren "das solltest Du besser sein lassen" quittiert werden, sondern bisweilen drastische Resultate haben.

Galateas Gefühle sind tief, oft eruptiv, und werden schnell zum eigentlichen Inhalt des Spiels. Ein für beide Charaktere akzeptables Ende zu finden kann befriedigender sein als die Lösung des "Rätsels Galatea" -- zumal auch die Geisteshaltung der Spielerfigur und sogar die Natur der Ausstellung nicht von Anfang an festgelegt scheinen, sondern sich aus dem Verlauf der Begegnung entwickeln. Welches der zahlreichen Enden "befriedigend" ist, hängt natürlich ganz davon ab, wer das Spiel spielt -- "gewinnen" im üblichen Sinne kann man es nicht.

Manchmal hätte ich mir mehr Einfluß auf die Haltung gewünscht, die der/die KritikerIn Galatea gegenüber einnimmt. Das Programm legt der Spielerfigur nämlich Worte in den Mund, die diese unter Umständen in einem härteren Licht erscheinen lassen, als man es sich gewünscht hätte. Insofern fällt es nicht leicht, sich mit ihr zu Identifizieren: "Moment, so habe ich das doch gar nicht gemeint!"

Das kann natürlich frustrieren, wenn man sich nicht darauf einlassen mag, ein wenig Kontrolle an das Programm abzugeben und einfach "mitzukommen" -- doch es lohnt sich. Emily Short gehört meiner Meinung nach zu den besten und stilistisch eigenständigsten _Schriftstellern_ der Interactive Fiction.

Kein "Abenteuerspiel" im gewohnten Sinne, sondern ein beeindruckender Beweis für die vielfältigen künstlerischen Möglichkeiten des Textadventure-Formats und die Implementation einer faszinierenden Figur. Mit einem javafähigen Browser kann es auch online gespielt werden: http://www.uwec.edu/jerzdg/orr/articles/IF/online/galatea/index.html
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Tanan
BeitragVerfasst am: Fr, 21 Feb 2003 - 17:54  Antworten mit Zitat
Abenteurer
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Anmeldungsdatum: 25.08.2002
Beiträge: 416
Wohnort: Essen

Ich habe "Galatea" auch gespielt. Außerdem noch mehrere andere von Emily Short. Der Effekt ist eigentlich immer der gleiche: Ich bin wahnsinnig beeindruckt, und doch packen mich ihre Spiele nicht.

In jedem der Spiele gibt es reichlich Innovationen, lebendige NSCs, wie sonst nirgends, oder, wie zuletzt in "Savoir Faire", Rätsel, die fast alles in den Schatten stellen. Ich werde richtig neidisch, weil ich sowas nicht kann. Leider ist "Savoir Faire" nach interessantem Anfang eben nicht besonders spannend - und genau das trifft auch auf "Galatea" zu: Anfangs ist es interessant, später ist es faszinierend. Aber Spannung? Fehlanzeige, was mich betrifft.
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kairo
BeitragVerfasst am: Fr, 21 Feb 2003 - 18:23  Antworten mit Zitat
Abenteurer
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Anmeldungsdatum: 25.08.2002
Beiträge: 298

Tanan hat folgendes geschrieben:
... genau das trifft auch auf "Galatea" zu: Anfangs ist es interessant, später ist es faszinierend. Aber Spannung? Fehlanzeige, was mich betrifft.


Ja, aber soll denn Galatea spannend sein? Ich habe es immer nur als einen Versuch verstanden, in dem die Grenzen und Möglichkeiten eines NPCs vorgeführt werden. Also kein Spiel, eher vielleicht, wie Ally schreibt, ein Rätsel.
Galatea war sehr beeindruckend. Mit den anderen Geschichten von Emily kann ich weniger anfangen. Zu steril und zu gelehrt/konservativ. Man merkt ihr, finde ich, stets die Altphilologin an.

Aber auf jeden Fall eine wichtige Autorin, wenn es um IF geht. Und ihre Seiten im Internet sind großartig.
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Tanan
BeitragVerfasst am: Fr, 21 Feb 2003 - 18:30  Antworten mit Zitat
Abenteurer
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Anmeldungsdatum: 25.08.2002
Beiträge: 416
Wohnort: Essen

Du hast recht, Kai, Galatea daran zu beurteilen ist unfair. War ja Teilnehmer - und Gewinner - bei einer IF Art Show. Dennoch wollte ich erwähnen, daß es eben nicht spannend ist, jedenfalls nicht für mich, um einer falschen Erwartungshaltung vorzubeugen.
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ChrisW
BeitragVerfasst am: Fr, 21 Feb 2003 - 22:08  Antworten mit Zitat
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Anmeldungsdatum: 26.08.2002
Beiträge: 278
Wohnort: Leipzig

Versteh ich nicht, wieso ist es "unfair", Galatea danach zu beurteilen, wie spannend du es findest, nur weil es ein Beitrag zur IF-Art-Show war? Ist es unfair zu sagen, was einem an einem Spiel nicht gefällt?

Spannung ist einfach ein Begriff, der sich m.E. nur schwer auf Galatea anwenden lässt. Ich finde es (das Spiel) sehr faszinierend und, in gewisser Weise, auch spannend auf Grund der Art und Weise, wie es mit der Erwartungshaltung von Spielern an NPCs umgeht. Oft versucht man als Spieler doch, und sei es unbewußt, die Logik des Programmes nachzuvollziehen. In Hortulus bspw. [Achtung: Spoiler!] bemerke ich die Verletzung des Händlers und versuche, sie zu heilen, damit mir der Mann wohlgesonnen ist und mir etwas über seine Blume im Knopfloch erzählt. So eine Vorgehensweise ist mit Galatea schwer denkbar, sie reagiert oft anders, als man es erwarten würde, sie reagiert selbst auf Fragen nach ein und demselben Stichwort häufig unterschiedlich, je nachdem, worüber man sich im Vorfeld mit ihr unterhalten hat.
Sie ist einfach viel zu vielschichtig, um sie mit ein oder zwei Durchläufen auch nur annähernd zu verstehen. Um zu verstehen, was dem NPC Galatea zugrunde liegt.

Dazu gehört, dass Galatea nicht nur auf meinem Palm als NPC, sondern auch in der Spielwelt (bei den meisten Enden? bei allen? oder bei den wenigsten?) eine "künstliche" Person ist. Dass sich auch in der Sage die Frage stellt, inwieweit Galatea "echt" oder "künstlich" ist.
Auch die Spielerfigur stellt sich die Frage: Wo steckt die Programmlogik, wie weit reicht sie? Ist sie, Galatea, nur ein Programm oder viel mehr?

Das macht für mich die Faszination dieses Spiels aus. Deshalb denke ich auch nicht, dass Galatea "nur" ein Versuch ist. Es ist m.E. ein sehr geschickt komponiertes Spiel, ich würde mir mehr Spiele wünschen, die mir so zu Herzen gehen. (Ja, Kai, hast Recht, der Begriff "Spiel" ist auch unpassend....)
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Tanan
BeitragVerfasst am: Fr, 21 Feb 2003 - 23:12  Antworten mit Zitat
Abenteurer
Abenteurer


Anmeldungsdatum: 25.08.2002
Beiträge: 416
Wohnort: Essen

Galatea ist bestimmt mehr als ein Versuch, aber es ist trotzdem unfair, es danach zu beurteilen, wie spannend es ist, jedenfalls bei dem, was ich mit "Spannung" meine. "Faszinierend" trifft es eher. Das 'Spiel' will den Leser nicht unbedingt in den Bann ziehen, sondern ist eben auch an das Ziel der 2000er IF-Show gebunden:

Zitat:
To explore the I in IF, the Interactivity * of Interactive-Fiction
(without the obscuring framework of too much structure). To
run one's hands over an "IF sculpture", TO EXPERIENCE
INTERACTIVITY AS A MEDIUM. In summary, this exploration
is intended to be two-sided: for you to explore the various ways
you can engage/involve the player to explore in turn.
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ChrisW
BeitragVerfasst am: Mi, 26 Feb 2003 - 18:33  Antworten mit Zitat
Abenteurer
Abenteurer


Anmeldungsdatum: 26.08.2002
Beiträge: 278
Wohnort: Leipzig

Walafrid in einem inzwischen verschwundenen Beitrag hat folgendes geschrieben:
Meine These: das erste großangelegte Guess-the-noun-Rätsel. Denn ungefähr 80% aller sinnvollen Eingaben sind entweder TELL oder ASK, gefolgt von einem Nomen. Und während manche im Text erwähnten Wörter nicht akzeptiert werden, führen andere zu absolut spektakulären, unterschiedlichen Szenen, die ich aber nur per Walkthrough (die Seiten von Dennis Jerz) gefunden habe.

Ja, bei einigen der vom Spiel akzeptierten Wörter hätte ich nie und nimmer gedacht, dass Galatea sie überhaupt kennt, während andere Wörter, die möglicherweise sogar näher liegend sind, nicht erkannt werden.
Das hängt natürlich mit dem sich potenzierenden Aufwand zusammen, je ferner liegende Wörter man erlaubt (und für einige der Enden auch verlangt). Das zeigt schon die pure Größe des Spiels.
Zitat:
Ein interessantes Experiment und absolut spielenswert, aber ich glaube, eher ein Argument gegen ASK/TELL/ORDER als dafür.

Es zeigt deutlich die Mängel dieses Verfahrens.
Aber was wäre denn eine brauchbare Alternative gewesen? Für ein Multiple-Choice-Dialogsystem ist Galatea m.E. zu komplex. Um einen ähnlichen Freiraum zu schaffen, müssten ja an manchen Stellen deutlich über zehn Dialogoptionen zur Verfügung stehen. Außerdem besteht gerade bei diesem Spiel der Reiz auch darin, Gesprächsthemen finden zu müssen. Ich glaube, dieses "Oh Gott, worüber soll ich denn bloß mit ihr reden?", wenn man den Raum zum ersten Mal betritt, ist absolut beabsichtigt, diesen Effekt des ASK/TELL/ORDER nutzt Emily Short geschickt aus.
Eine andere Alternative wären natürlich kombinierte Systeme wie in Pytho's Mask. Aber da bist du vor Guess-the-Topic auch nicht gefeit.

P.S. Pytho's Mask benutzt ein Multiple-Choice-Dialogsystem, bei dem man durch Eingabe von "TOPIC IRGENDWAS" das Gesprächsthema wechseln kann, also auch nicht von Anfang an alle Dialogoptionen präsentiert bekommt.
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