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<  Die Story nicht aus den Augen verlieren
Mario Donick
BeitragVerfasst am: Mo, 16 Apr 2012 - 17:03  Antworten mit Zitat
Wasserträger
Wasserträger


Anmeldungsdatum: 14.02.2009
Beiträge: 49
Wohnort: Rostock

Bei all den technischen Aspekten, mit denen man beim IF-Schreiben manchmal etwas zu kämpfen hat, geht zumindest mir oft der Überblick über die eigentliche Geschichte etwas verloren -- weil es immer mehr und mehr Details in der Spielwelt gibt, die ausgefüllt werden wollen.

Meine Stadt zum Beispiel hat eigentlich nur ein paar zentrale Orte: Schule, Rathaus, Bibliothek, Kirche. Und ein paar Straßen, die diese miteinander verbinden. Aber allein dafür sitze ich monatelang, denn alles will beschrieben sein und soll dabei auch noch irgendwelchen selbstgesetzten Ansprüchen an Literarizität genügen.

Beispiel Foyer im Rathaus. Nicht nur die Beschreibung des Foyers selbst. Nein, auch Beschreibungen der Wände, des Bodens, Blickwinkel (wenn man das Foyer vom 1. Stock aus betrachtet, oder von der Straße durch das geöffnete Einangsportal aus, oder vom etwas entfernten Infostand aus), Objekte im Foyer, Backdrops ... dann Synonyme für alles und jeden ... alles, um eine glaubwürdige und dichte Umwelt zu schaffen.

Wie schaffen es andere IF-Autoren, den Überblick nicht zu verlieren? Mit Überblick meine ich nicht unbedingt über den Quelltext (da ist I7 sehr vorbildlich), sondern über das, was man eigentlich in der ausgestalteten Welt machen will, nämlich eine Geschichte erzählen?

Wo hört man auf und kann guten Gewissens sagen, dass man trotzdem "gute" IF geschrieben hat? (Wenn man sich die englischen Texte über IF durchliest, kann man nämlich den Eindruck gewinnen, dass es sehr schlimm ist, wenn mal irgendwas nicht beschrieben ist, oder ein Synonym mal nicht bedacht wurde ...)
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stadtgorilla
BeitragVerfasst am: Mo, 16 Apr 2012 - 18:12  Antworten mit Zitat
Experte
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Anmeldungsdatum: 04.04.2011
Beiträge: 785

Unsere bisherigen Spiele glänzen jetzt nicht gerade mit Top-Implementierung; finde aber nichtsdestotrotz, dass es wichtig ist, dass die Welt konsistent ist. Das heißt jetzt eber wirklich nicht, dass man alles zu Tode imlementieren muss. Wenn man sich da schon anfangs in Details verliert, kann einen das schon in den Wahnsinn treiben. Am wichtigsten ist immer noch die Geschichte, die ist als erstes da, und nach deren Regeln baut man dann seine Welt, einen Stein nach dem anderen. Und dann auch einfach mal testen lassen, denke ich. Aber nach dem ich wegen allen genannten Punkten von der spanischen Inquisition gesucht werde, übergebe ich an meinen Anwalt; Dr. Bier, übernehmen Sie!
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FrankS
BeitragVerfasst am: Mo, 16 Apr 2012 - 19:41  Antworten mit Zitat
Wasserträger
Wasserträger


Anmeldungsdatum: 01.02.2011
Beiträge: 81
Wohnort: Leipzig

Man darf nicht vergessen, dass IF keine Simulation ist - zumindest in meiner Sicht. Der Spieler hat nie wirkliche Freiheit und den Deteilreichtum der realen Welt abbilden zu wollen, wäre ein hoffnungsloses Unterfangen. Man sollte sich wirklich fragen, was für das konkrete Spiel von Bedeutung ist. Mein Erstlingswerk spielt im Wald, also sollte man die Bäume anschauen können. Wenn man aber eingibt "u baumrinde", ist einfach Schluss. Die Frage ist: Was will sich ein Spieler näher ansehen? Um dies herauszufinden, fällt mir auch vor allem ausgiebiges Testen ein. Die Tester machen Dinge, auf die man nie gekommen wäre, und ignorieren zahlreiche Dinge, die man mühevoll implementiert hat. Ein Tipp aus Aaron Reeds Inform-7-Buch, den ich sehr nützlich finde:

Lasse in den Beschreibungen anklingen, ob sich eine nähere Beschäftigung lohnt. Wenn ich auf "u abfall" sage: "Du siehst hier eine alte Flasche, eine Bananenschale und eine Streichholzschachtel." (natürlich netter formuliert), dann stifte ich den Spieler an, all diese Dinge genauer untersuchen zu wollen; füge ich hinzu "- lauter nutzloses Zeug", dann mache ich klar, dass die Dinge nicht relevant sind, und kann für den Fall, dass es doch jemand versucht, die allgemeine Abfall-Beschreibung wiederholen.

Letztlich tut man sich m. E. keinen Gefallen, wenn man zu genau beschreibt. Je mehr in der Beschreibung auftaucht, desto mehr muss man implementieren - außerdem wird es leicht langatmig. Ich versuche, mich auf die zentralen Dinge zu beschränken. Nehmen wir ein Arbeitszimmer. Wenn ich schreibe "Das Zimmer wird von einem wuchtigen Schreibtisch dominiert, der unter der Last von Papieren fast zusammenbricht; von der Decke hängt ein ausgestopftes Krokodil.", dann lenke ich die Aufmerksamkeit auf einige Dinge; wenn ich noch allerlei anderen herumstehenden Nippes beschreibe, mache ich mir mehr Arbeit und lenke gleichzeitig vom Wesentlichen ab.

Ganz ohne lästige Fleißarbeit geht es aber wohl nicht: In Räumen möchten Wände und Boden z. B. "vorhanden" sein, egal ob sie eine Rolle spielen. Die Türklinken würde ich aber normalerweise nicht implementieren, obwohl sie natürlich meistens da sind.

Der Grat zwischen unzureichender und übertriebener Implementierung ist schmal. Letzlich kommt es auch auf das Spiel an: Ein Detektivspiel wird vielleicht mehr Details anbieten müssen, als in anderen Genres nötig wäre, und ein Spiel, das in nur einem Raum spielt, sollte wohl auch großzügiger mit Interaktionsmöglichkeiten um sich werfen.

Und ein letztes: Die Qualität eines Spiels mache ich persönlich nicht in erster Linie an der Implementierungstiefe fest. Natürlich ist es nicht schön, wenn ständig von Dingen erzählt wird, die dann gar nicht da sind, aber bei eher abwegigen Sachen, die man einfach mal probiert (Aktionen und Gegenstände), nehme ich es nicht übel, wenn mal nichts passiert. Ich rege mich bei Grafikadventures ja auch nicht darüber auf, dass nicht auf jedem eingezeichneten Detail ein Hotspot liegt.

Soweit erstmal.

Frank
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stadtgorilla
BeitragVerfasst am: Mo, 16 Apr 2012 - 19:50  Antworten mit Zitat
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Anmeldungsdatum: 04.04.2011
Beiträge: 785

Die Analogie mit dem Hotspot finde ich ganz treffend, ja, und den Rest würde ich auch unterschreiben.
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Hannes
BeitragVerfasst am: Mo, 16 Apr 2012 - 21:31  Antworten mit Zitat
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Anmeldungsdatum: 25.03.2010
Beiträge: 660

Das ist wieder so eine Frage der Prioritäten… Wenn man eine schöne Geschichte oder lauter knackige Rätsel hat, dann ist das alles nicht so wichtig, aber wenn eben nicht, kann eine möglichst detaillierte „Weltsimulation“ ja auch etwas haben. Spontan kommt mir dabei It aus der letzten IF Comp in den Sinn: Rätsel gibt's da keine und die Geschichte… na ja, dünn. Aber es ist in dem kleinen Garten wirklich sehr viel implementiert, praktisch alle auch nur halbwegs sinnvollen Aktionen sind vorgesehen und werden mit einer schönen Antwort bedacht. Das ist natürlich dann eher Fleißarbeit. Mit der kann man auch punkten. Hat mir gefallen, das Spiel.

Ansonsten hat Frank es glaube ich gut zusammengefasst: Die erste Beschreibungsebene gehört implementiert, danach noch das Wichtige und ansonsten einfach zirkulär auf die Elternobjekte zurückverweisen. Das sollte als Minimum schon sein. Und sowas wie Wände, Decken, Böden usw. kann man (zumindest in Inform) ja auch einfach als "Backdrop" implementieren.
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proc
BeitragVerfasst am: Mi, 18 Apr 2012 - 15:05  Antworten mit Zitat
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Anmeldungsdatum: 08.12.2009
Beiträge: 923
Wohnort: Berlin

Hannes hat folgendes geschrieben:
Das ist wieder so eine Frage der Prioritäten… Wenn man eine schöne Geschichte oder lauter knackige Rätsel hat, dann ist das alles nicht so wichtig, aber wenn eben nicht, kann eine möglichst detaillierte „Weltsimulation“ ja auch etwas haben. Spontan kommt mir dabei It aus der letzten IF Comp in den Sinn: Rätsel gibt's da keine und die Geschichte… na ja, dünn. Aber es ist in dem kleinen Garten wirklich sehr viel implementiert, praktisch alle auch nur halbwegs sinnvollen Aktionen sind vorgesehen und werden mit einer schönen Antwort bedacht. Das ist natürlich dann eher Fleißarbeit. Mit der kann man auch punkten. Hat mir gefallen, das Spiel.

It von Emily Boegheim ist ein super Beispiel für IF, die nicht als klassische Story empfunden wird. Auch Spiele wie Pac-Man oder Galatea passen da nicht rein, eher schon deren Persiflage The Play aus der letzten IF-Comp - ein CYOA übrigens, das den dritten Platz erreichte. Das spricht für eine gewisse Relevanz der Story, wann stand ein CYOA schonmal auf dem Treppchen?
Das Grandiose an It ist nicht nur der kurzweilige Zeitvertreib, sondern die Simulation: Kinder verstecken sich und müssen gefunden werden, Regeln des Versteckspiels im Spiel und IF-Regeln des Spiels insgesamt sind einzuhalten. Oder eben auch nicht. Dabei entwickeln sich interessante Charaktere durch ihr Handeln und durch ihre Konversation, man erfährt gar die Schicksale ganzer Familien. Die Welt spannt sich in den vielen kleinen Seitenzweigen auf und wirkt substanzieller als so manche Fantasy- oder Detektivgeschichte. IF ist eben nicht nur Literatur, der Begriff "Story" greift zu kurz: IF ist ganz wesentlich auch Spiel mit dem Wesensmerkmal des Zeitvertreibs.
Mal von hinten her gedacht: Wenn die Definition einer IF-Story die babbelsüchtige Galatea oder das simulative It beinhalten würde, was würde dann eine rundlaufende IF-Story ausmachen? Ich sehe nur drei grundsätzliche Bestandteile einer guten IF-Geschichte:

  • Sinn. Ob dieser sich in einem Spannungsbogen im Sinne eines Lessingschen Dramas ergießt oder im spielerischen Zeitvertreib eines It, macht für mich keinen grundlegenden Unterschied.
  • Entwicklung. Dass sich die Geschichte vom Sinn getrieben verändern kann, empfinde ich als immanente Stärke von IF.
  • Regeln. Ob es nun um einen Schmürz geht, der nur gehen und fressen kann oder um einen ganzen Fantasykosmos: Spieler versuchen den Sinn zu begreifen und lernen die Spielregeln. Eine Weltsimulation ist hinderlich, da sie das Regularium verschüttet.

Daraus lassen sich einige einfache Handlungsanweisungen ableiten, die ohnehin schon bekannt sind:

  • Ein grobes Konzept im Kopf oder besser noch in Stein gemeißelt, das den Sinn der Geschichte enthält.
  • Konzentration auf durchdachte Spielelemente, also auf die wenigen Räume, Personen, Dinge und Aktionen, die den Sinn erfüllen. Und das sind meistens nicht viele, da gibt es dann keine Baumrinden oder Fußböden und aufessen kann man auch nichts, soweit das keinen Sinn macht.
  • Detailplanung mit den Abfolgen für die Entwicklung der Geschichte. Da muss sich halt was verändern. Der Überblick bleibt in komplexeren Spielen durch Einkapselungen gewahrt: Immer nur ein Teil der Spielewelt ist in einer bestimmten Szene zugänglich.
  • Wenn dieses Grundgerüst steht, lässt sich Beiwerk einfügen. Neue Räume, NPCs, Fußböden. Bestenfalls zur Stimmung passend, so dass der weinrote Fußboden z.B. in einer Mordszene wie mit Blut übergossen aussieht. Das Beiwerk sollte weitgehend auf den geplanten Sinn hinarbeiten.
  • Meiner Ansicht nach sollte eine offene Spielewelt vermieden werden. Der Spieler wird die Regeln nicht kapieren, wenn er alles machen kann. Besonders vakant ist dies in Konversationen: Die Unterhaltung über das Leben und die Liebe macht nur Sinn, wenn die Aussagen auf diesen gemünzt sind.

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