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<  Du oder Ich ?
ChristianB
BeitragVerfasst am: Mi, 5 Mai 2004 - 22:45  Antworten mit Zitat
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Anmeldungsdatum: 05.05.2004
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Hallo, Text-Adventure-Programmierer und -Spieler

seit langer Zeit gehe ich mit dem Vorhaben, endlich mal Text-Adventures in deutscher Sprache zu schreiben, schwanger (momentan probiere ich Inform und TAG) und ich freue mich, dass es noch Leute gibt, die diese schöne Form des Geschichtenerzählens nicht vergessen haben und weiter entwickeln. Ich schreibe beruflich Geschichten und habe mich immer wieder mit dem Problem der Identifikation des Spielers (des Lesers, des Zuschauers) beschäftigt.

Die meisten Spiele, die momentan verfügbar sind, sprechen den Spieler direkt mit „Du“ an, was mich immer schon irritiert hat, erteilt man doch Anweisungen (im Imperativ). Das wirkt auf mich meistens unnatürlich: Ich gebe eine Anweisung an mich selbst, erhalte aber die Beschreibung der fiktiven Welt von einem nicht auszumachenden Erzähler.
Natürlicher und näher an alltäglicher Kommunikation erscheint es mir, einer fiktiven Spieler-Figur Anweisungen zu erteilen und diese teilt mir mit, was sie in der Spielwelt erlebt – so als würde ich jemanden z.B. per Handy anleiten. Ich glaube nicht, dass die Identifikation mit der „Hauptfigur“ darunter leidet, wenn ein Adventure die Texte in der Ich-Form ausgibt. Die Ansprache des Spielers per „Du“ mag in englischsprachigen Adventures funktionieren, da empfinde ich die Anweisungen, die ich als Spieler gebe, nicht als Imperativ, sondern eher als eine Beschreibung, dessen, was ich tun will (<I> KILL THE CAT, <I> TAKE INVENTORY). Im Deutschen funktioniert das, wie gesagt, für mein Empfinden nicht so gut.

Die ersten Text-Adventures, die ich gespielt habe, waren die von Scott Adams, die ursprünglich alle in der Ich-Form verfasst waren. Ich habe dann auch selbst englische Adventures mit einem Adventure-Editor, der das Adams-Format (für den TI-99/4A) unterstützte geschrieben – immer in der ersten Person, andere Möglichkeiten hatte man nicht. (Der Autor des Adventure-Editors war ein Deutscher (aus Bayern?), bei dem ich das (relativ gut dokumentierte) Editor-Programm damals (ca. 1982-82) gekauft habe, aber ich habe seinen Namen vergessen – wer sich daran erinnert möge ihn mir bitte nennen).

Bin ich in einer Adams-Tradition gefangen oder könnten erfahrenen Spielern (und Programmieren) von deutschsprachigen Text-Adventures auch Spiele in der ersten Person gefallen? Gibt es gar ein ungeschriebenes Gesetz, dass die interaktiven Geschichten immer den Spieler duzen müssen? Oder sollte man vielleicht beide Möglichkeiten in einem Spiel zur Auswahl stellen?

Ich freue mich auf Antworten von Euch – beste Grüße,

Christian
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Martin
BeitragVerfasst am: Do, 6 Mai 2004 - 7:43  Antworten mit Zitat
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Anmeldungsdatum: 25.08.2002
Beiträge: 677
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Zitat:
Gibt es gar ein ungeschriebenes Gesetz, dass die interaktiven Geschichten immer den Spieler duzen müssen?

Nein. Es hat sich nur eingebürgert, als Quasi-Standard sozusagen. Standards sind gut, weil sich Spieler in Bekanntem besser zurechtfinden. Das heißt aber nicht, dass man sich strikt daran halten muss. Gerade in der Ausgabe kann ich mir Variationen bei der Präsentation der Spielwelt und der Geschichte gut vorstellen. bei der Eingabe sollte man sich aber besser an die (ungeschriebenen?) Standards halten, es sei denn man hat gute Gründe.

Ich habe die Ausgabe in der zweiten Person zunächst auch unelegant gefunden, habe mich aber mittlerweile daran gewöhnt. Das Beispiel für T.A.G., Die Höhlen von Karn, redet seinen Spieler mit "ich" an:

Zitat:
Ich stehe hier am Eingang von Karn. Viele Legenden ranken sich um das unterirdische Höhlensystem.

Ein kleines, wenig einladend aussehendes Loch führt nach unten. Nebelschwaden ziehen aus dem Loch empor.

Neben mir auf dem Boden liegt mein vertrautes Schwert, ein Prachtstück elbischer Handwerkskunst.

Außerdem sehe ich hier eine Öllampe und einen Brief.


T.A.G. unterstützt die Ausgabe in der ersten Person, es gibt eine Datei mit Standardtexten in der ich-Form sowie eine Systemflagge #Person, mit der man die Pronomina für den Spieler ändern kann. Siehe auch den Quelltext zu Die Höhlen von Karn, der dem Entwicklerpaket beiliegt.

Kommerzielle Spiele, wie z.B. Das Stundenglas sprechen den Spieler mit "Sie" an, was ich in einer mittelalterlichen Fantasywelt nicht sehr gelungen finde. Sehr, hm, kundenorientiert.

Scott Adems hat gewiss die erste Person benutzt, weil man mit "I"/"my" gegenüber "you"/"your" zwei Bytes sparen konnte. (Bei "I'm" gegen "you're" sind's sogar drei!) :-)

Zitat:
Oder sollte man vielleicht beide Möglichkeiten in einem Spiel zur Auswahl stellen?

Das wird kompliziert, denke ich. Den Wechsel der Perspektive könnte ich mit weniger als Option für den Spieler, sondern eher als Stilmittel vorstellen, siehe Kais Artikel Und wo stehst Du?

hat folgendes geschrieben:
... oder könnten erfahrenen Spielern (und Programmieren) von deutschsprachigen Text-Adventures auch Spiele in der ersten Person gefallen?

Ja.
_________________
Every silver lining has a cloud.
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Sophie
BeitragVerfasst am: Do, 6 Mai 2004 - 9:24  Antworten mit Zitat
Gast





Mich hat es anfangs irritiert, dass man auf deutsch Befehle im
Imperativ gibt, weil ich sie auf englisch immer als Infinitiv
interpretiert habe. Aber nach zwei Spielen oder so hab ich mich
daran gewöhnt, und denke nicht mehr dran.

Ich hab die Erfahrung gemacht, dass ich mich bei Spielen (auf
englisch), die in der ersten Person geschrieben sind, mehr
vom Protagonisten distanziert fühle, als wenn das Spiel in der
zweiten Person geschrieben ist. Ganz unabhängig davon,
wieviel Persönlichkeit der Protagonist hat.
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ChristianB
BeitragVerfasst am: Do, 6 Mai 2004 - 11:13  Antworten mit Zitat
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Anmeldungsdatum: 05.05.2004
Beiträge: 633
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Vielen Dank für die prompten Antworten!

Das Umstellen der Person in TAG funktioniert hervorragend. Überhaupt gefällt mit TAG momentan besser als Inform - vielen Dank an Martin, der mir damit einen schnellen Einstieg in die Materie ermöglicht hat.

Ich werde jetzt einfach in der 1. Person schreiben, vielleicht gewöhne ich mich ja irgendwann doch noch an die 2. An der Art der Eingabe möchte ich natürlich nichts ändern.
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Florian Edlbauer
BeitragVerfasst am: Do, 6 Mai 2004 - 13:04  Antworten mit Zitat
Gast





ChristianB hat folgendes geschrieben:
An der Art der Eingabe möchte ich natürlich nichts ändern.

TAG ist bei den Verben sehr tolerant und erlaubt standardmäßig etwa auch NEHME statt NIMM. Wenn du also das Wort 'ich' zum Synonym für Nichts ('') erklärst, müsste der Spieler auch

> ICH NEHME DAS TELEFONBUCH. ICH LESE ES

sagen können, wenn er will.

Dann solltest du aber bei selbst definierten Verben darauf achten, dass sowohl Imperativ wie auch 1. Pers. Sing. möglich sind. Und bei manchen Standardverben werden vielleicht Erweiterungen um die Form der 1. Person nötig sein.

Siehe übrigens auch die Lösung zu dem GP03-Spiel Zwischen Himmel und Erde (allerdings mit Javascript, nicht mit TAG realisiert):
http://www.winthir.de/start.htm
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ChristianB
BeitragVerfasst am: Do, 6 Mai 2004 - 16:01  Antworten mit Zitat
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Anmeldungsdatum: 05.05.2004
Beiträge: 633
Wohnort: Hamburg

Florian Edlbauer hat folgendes geschrieben:
Wenn du also das Wort 'ich' zum Synonym für Nichts ('') erklärst, müsste der Spieler auch

> ICH NEHME DAS TELEFONBUCH. ICH LESE ES

sagen können, wenn er will.


Das ist eine interessante idee, wenn auch die Eingabe in der ersten Person beim ersten Probieren ungewöhnlich ist. Wenn die Ausgabe in der 2. Person verfasst ist, wäre dies eine Möglichkeit, den Eindruck einer „natürlichen“ Kommunikation mit einer virtuellen Spielfigur wieder herzustellen; es geht mir ja darum, dass Ein- und Ausgabe in unterschiedlichen Personen stehen – andernfalls wirkt es für mich seltsam. Ich werde mal mit der veränderten Eingabe experimentieren, es könnte für bestimmte Spielszenarien vielleicht gut passen.
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ChrisW
BeitragVerfasst am: Do, 6 Mai 2004 - 19:57  Antworten mit Zitat
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Anmeldungsdatum: 26.08.2002
Beiträge: 278
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Kurzes Zitat aus Kais Artikel:
Zitat:
Ist ein Textadventure in der »Ich«-Perspektive erzählt, dann wird dadurch die Spielerfigur erst spürbar. In der zweiten Person verschmelzen der Spieler und seine Figur scheinbar in einem einzigen »Du«. Die Distanz zum »Ich« ist deshalb größer.

Das ist das Phänomen, das auch Sophie beschrieben hat. Empfinde ich ebenso. Es ist schwieriger, gute Adventures in der Ich-Form zu schreiben, weil du es permanent schaffen musst, diese Distanz zu überbücken. Sicher der Hauptgrund dafür, dass so viele Textadventures in der 2. Person geschrieben sind.

Klar, wenn du ein Adventure schreibst, in dem der Spieler den Protagonisten tatsächlich per Handy durch die Gegend scheucht, wäre die Ich-Perspektive sehr passend. Ansonsten habe ich als Spieler, der seine ersten Textadventure-Erfahrungen mit Adventures in der 2. Person hatte, das Gefühl, einem Protagonisten Befehle zu erteilen, der aus irgendeinem unerfindlichen Grund permanent Selbstgespräche führt. Geht mir ehrlich so...

Gut, der Imperativ bei der Eingabe ist vielleicht gewöhnungsbedürftig.
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"Ein Musiker! Was will der hier so spät?" Stolzing (Meistersinger v.N.)
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ChristianB
BeitragVerfasst am: Do, 13 Mai 2004 - 15:48  Antworten mit Zitat
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Anmeldungsdatum: 05.05.2004
Beiträge: 633
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Hallo noch mal,

der Grund, warum ich auf die Du-oder-Ich-Frage überhaupt gekommen bin, ist folgender: Ich habe jüngeren Leuten (11-12 Jahre) mal ein Text-Adventure, das ich selbst in T.A.G. geschrieben habe, vorgestellt; es war in der 2. Person geschrieben, hat also den Spieler mit „Du“ angeredet.

Die Rätsel waren entsprechend einfach, die Spieler sollten einfach mal die Modell-Spiel-Welt kennen lernen. Trotz der relativ simplen Hintergrundstory waren sie sehr begeistert von dem Spiel, obwohl sie noch nie zuvor Text-Adventures gespielt hatten. Sie wollten sofort weiterspielen, einige sogar das Spiel selbst weiter schreiben.

Es kamen gute Anmerkungen zu dem Spielverlauf und zu den Möglichkeiten, die man in einem Spiel hat oder haben sollte. Die ersten (jungen) Tester saßen zu zweit am Rechner und fühlten sich durch die Ansprache in der 2. Person irritiert.
Sie sagten: „Erstens sitzen wir hier nicht allein und zweitens ist doch der Sinn eines Computerspiels, dass man jemanden steuert und ihm sagt, was er machen soll. Bei Super-Mario sehen wir doch auch immer Mario, der vor uns herläuft. Und den lenken wir die ganze Zeit, ohne dass es langweilig wird.“

Die Kids bemerkten weiter, dass in (grafischen) Spielen, in denen eine Geschichte erzählt wird, die Spielfigur immer zu sehen sei. Wenn es ums reine Ballern geht, bevorzugen sie allerdings die Ego-Perspektive, also Ego-Shooter, die den Spieler gewissermaßen mit „Du“ anreden, wie z.B. „Unreal Tournament“ oder in harmloseren Fällen „Moorhuhn“. Sollen komplexe Storys erzählt werden, finden sie Spiele, in denen sie eine Spielfigur steuern können, die nicht sie selbst sind (z.B. Mario, Shadowman, Half-Life etc.) als völlig natürlich; die Spieler-Spielfigur-Identifikation leidet für sie kein Stück unter dieser Trennung.

Im Film erlebt man es auch eher seltener, dass die komplette Story in der 2. Person erzählt wird (in bestimmten Sequenzen funktioniert es manchmal), also den Zuschauer direkt involviert; das würde ja bedeuten, dass der ganze Film in der Subjektive gefilmt würde. Die Identifikation mit einer Hauptfigur, der man durch ihre Geschichte folgt (im Adventure wäre dies die 1. Person), gelingt grundsätzlich immer, wenn das Drehbuch stimmt. Auch in der Belletristik gibt es wenig Versuche, den Leser über die gesamte Länge der Erzählung mit „Du“ anzusprechen.

Und: Ist in Text-Adventures, die grafisch unterstützt sind, nicht auch immer die Spielfigur in der dargestellten Szene zu sehen? Ich erinnere mich an kein Spiel wo das nicht so war, bin aber damit auch nicht so firm.

Klar, das Thema ist eher akademischer Natur, aber dennoch finde ich die unterschiedlichen Eindrücke, die auch hier geäußert wurden, und das, was ich von jüngeren Spielern gehört habe, einen Gedanken wert. Bei Text-Adventures entscheidet da wohl doch immer der persönliche Geschmack, auch wenn sich bestimmte Konventionen für das Genre etabliert haben.

Besten Dank erstmal für die guten Kommentare,

ChristianB
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ChrisW
BeitragVerfasst am: Do, 13 Mai 2004 - 18:37  Antworten mit Zitat
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Anmeldungsdatum: 26.08.2002
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Mo hat sich dem Thema auch ausführlich im neuesten MOment gewidmet: http://www.mogelpower.de/kolumne/index.php?id=13

Kann mich seinen Ausführungen nur anschließen, ich denke auch, dass die Unterscheidung zwischen Ego- und Third-Person-Ansicht in grafischen Spielen rein optisch/spieltechnisch, nicht jedoch eine Unterscheidung in der Erzählperspektive ist.

Zitat:
Im Film erlebt man es auch eher seltener, dass die komplette Story in der 2. Person erzählt wird...

Wie sollte das in Filmen funktionieren? Wenn man das Geschehen aus Sicht der handelnden Person sieht, was selten genug vorkommt, läuft die Erzählung in der ersten Person, oder?

Zitat:
Die Identifikation mit einer Hauptfigur, der man durch ihre Geschichte folgt (im Adventure wäre dies die 1. Person)...

Wäre sie das wirklich? Im Film wäre es die dritte, warum sollte es im Adventure die erste und nicht die zweite sein? (Hat schon mal wer über Adventures in der dritten Person nachgedacht? Interessante Möglichkeit, finde ich...)
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kairo
BeitragVerfasst am: Do, 13 Mai 2004 - 21:31  Antworten mit Zitat
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Anmeldungsdatum: 25.08.2002
Beiträge: 298

ChrisW hat folgendes geschrieben:
(Hat schon mal wer über Adventures in der dritten Person nachgedacht? Interessante Möglichkeit, finde ich...)


Emily Short hat folgendes geschrieben:
Kallisti, James Mitchelhill. Narrated in the third person (singular), in the past tense. Not otherwise particularly recommended, this game combines turgid prose with pornographic content for an experience that is both bewildering and potentially offensive.


http://emshort.home.mindspring.com/literacy.htm#PC

und:
http://tinyurl.com/2esd4


Zuletzt bearbeitet von kairo am Fr, 14 Mai 2004 - 9:04, insgesamt einmal bearbeitet
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ChristianB
BeitragVerfasst am: Do, 13 Mai 2004 - 22:31  Antworten mit Zitat
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Zitat aus Mos Artikel:
Zitat:
Im Textadventure erzeugt dieses »Ich« aber eine merkwürdige Distanz zwischen Spieler und Spielfigur. So, als ob man jemandem bei dessen Geschichte zuschauen würde, anstatt selbst die Handlung zu bestimmen: »Ich stehe auf einem offenen Feld.« – »Na und? Dann bleib doch da stehen!« Während Leser und Figur im Buch durch das »Ich« nahe zusammenrücken, funktioniert das in Textadventures erstaunlicherweise mit »Du« viel besser.

Wie ist es denn z.B. bei Spielen wie Mario – das ist doch auch eine Form interaktiven Geschichtenerzählens, oder? Die Spielfigur steht z.B. auf einem Feld rum, nur sagt sie es nicht, man sieht sie ja. Die Kommunikation mit dem Spieler funktioniert doch aber ähnlich wie beim Textabenteuer - es ist, als würde die Figur mir sagen „Ich stehe hier auf einem Feld, was soll ich machen?“. Kein Spieler, der ernsthaft Lust hat, zu spielen, würde jetzt auf die Idee kommen, zu sagen: „Na und, da kann ich auch nichts dran ändern, sieh zu, wie du klarkommst.“

Noch mal Mo:
Zitat:
Also bezeichnen Spiel wie auch Spieler mit »Du« den Avatar, die Handlungsfigur im Spiel.

Genau das ist es, was ich als so unnatürlich empfinde: Es gibt drei Kommunikationsparteien: den Spieler, das Spiel und die Spielfigur. Ich empfinde ein interaktives Spiel (grafisch oder mit Text) als Kommunikation zweier Teilnehmer, Spieler und Spielfigur - wobei das Medium (das Spiel) im besten Fall nicht als kommunizierende Instanz wahrgenommen wird.

ChrisW hat folgendes geschrieben:
Wie sollte das in Filmen funktionieren? Wenn man das Geschehen aus Sicht der handelnden Person sieht, was selten genug vorkommt, läuft die Erzählung in der ersten Person, oder?

Was ich mit der 2. Person meinte, war: Wenn es im Film längere Sequenzen in der Subjektive gibt, ohne eine dazugehörige erkennbare Figur, dann wird mir damit – auf Textadventures übertragen - gesagt „Du siehst jetzt genau dies!“. Genau in diesem Moment tritt das Medium als Kommunikationspartner in Aktion, und das funktioniert meiner Meinung nach nicht so gut – deshalb gibt es vielleicht auch so wenig Filme, die den Zuschauer dauerhaft mittels der Subjektive gefangen nehmen können.
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ChrisW
BeitragVerfasst am: Fr, 14 Mai 2004 - 7:01  Antworten mit Zitat
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Anmeldungsdatum: 26.08.2002
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ChristianB hat folgendes geschrieben:
Wie ist es denn z.B. bei Spielen wie Mario – das ist doch auch eine Form interaktiven Geschichtenerzählens, oder? Die Spielfigur steht z.B. auf einem Feld rum, nur sagt sie es nicht, man sieht sie ja. Die Kommunikation mit dem Spieler funktioniert doch aber ähnlich wie beim Textabenteuer - es ist, als würde die Figur mir sagen „Ich stehe hier auf einem Feld, was soll ich machen?“.

Allerdings sagt mir Mario nicht, er würde auf einem Feld rumstehen. Er steht halt einfach nur rum. Das sagt mir derdiedas Spiel/Erzähler/Erzählinstanz. Insofern läuft das Spiel nicht in der ersten Person.

Mo hat folgendes geschrieben:
Jetzt liegt es nahe, dass auch Spiele wie Far Cry eigentlich in einer Art »virtueller Du-Form« erzählt werden, unabhänglich von der grafischen Darstellung: »Du fährst mit dem Boot über's Wasser. In der Ferne siehst du ziemlich mutantige Mutanten.« Die Steuerbefehle per Gamepad oder Tastatur sähen verbal in etwa so aus: »Nimm Waffe. Dreh dich nach links. Schieße. Dreh dich nach rechts.»

Zitat:
Genau das ist es, was ich als so unnatürlich empfinde: Es gibt drei Kommunikationsparteien: den Spieler, das Spiel und die Spielfigur. Ich empfinde ein interaktives Spiel (grafisch oder mit Text) als Kommunikation zweier Teilnehmer, Spieler und Spielfigur ...

Diese drei Kommunikationsparteien gibt es bei Büchern und Filmen doch aber genauso. Ich dagegen empfinde gerade diese Kommunikation zweier Teilnehmer als unnatürlich. Schließlich bin ich als Spieler nicht Teil der Spielwelt, also für die Spielfigur praktisch nicht existent. Warum sollte die Spielfigur permanent mit mir kommunizieren?

ChristianB hat folgendes geschrieben:

Was ich mit der 2. Person meinte, war: Wenn es im Film längere Sequenzen in der Subjektive gibt, ohne eine dazugehörige erkennbare Figur, dann wird mir damit – auf Textadventures übertragen - gesagt „Du siehst jetzt genau dies!“.

Diese subjektive Ansicht entspricht eigentlich der Ich-Form der Belletristik, dir wird gesagt "Ich sehe jetzt genau dies!" Für dich als Zuschauer wird die Distanz spürbar, weil eben nicht du diese Szene siehst, sondern eine Figur des Films. Eine Darstellung in der zweiten Person ist, denke ich, im Film überhaupt nicht möglich, da du als Zuschauer lediglich Voyeur, nicht aber aktiver Teilnehmer an einer Kommunikation bist. Deshalb ist die zweite Person auch in Büchern so verdammt selten. Und wenn sie denn doch mal vorkommt, wie in Don DeLillos "Unterwelt", wird durch dieses "Du" häufig auch nicht der Leser angesprochen, sondern eine andere Figur/Person innerhalb oder außerhalb der Geschichte.
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ChristianB
BeitragVerfasst am: Fr, 14 Mai 2004 - 12:00  Antworten mit Zitat
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Anmeldungsdatum: 05.05.2004
Beiträge: 633
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ChrisW hat folgendes geschrieben:
Diese subjektive Ansicht entspricht eigentlich der Ich-Form der Belletristik, dir wird gesagt "Ich sehe jetzt genau dies!"

OK, wenn man die subjektive Kamera einem Text in der 1. Person gleichsetzt, dann müsste ein Spiel wie Myst doch ebenfalls in der 1. Person geschrieben werden, wenn man daraus ein Text-Adventure machen würde, oder wie siehst du das? Dann gäbe es in dem Adventure plötzlich eine Spielfigur, die nicht der Spieler selbst ist – und die gibt es in Myst nicht. Um die Subjektive von Myst zu erhalten, müsste man doch das Spiel in der 2. Person schreiben, oder nicht?
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ChrisW
BeitragVerfasst am: Fr, 14 Mai 2004 - 15:09  Antworten mit Zitat
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Anmeldungsdatum: 26.08.2002
Beiträge: 278
Wohnort: Leipzig

Myst habe ich leider nie gespielt, klingt aber logisch, was du schreibst. Wenn ich dich richtig verstanden habe, bezogst du dich aber auf die subjektive Kamera in Filmen, die, denke ich, was ganz anderes ist als bei Myst oder bei Spielen allgemein. Schließlich handelt es sich in Filmen ja um Ansichten aus dem jeweiligen Blickwinkel einer bestimmten Figur des Films.

Zitat:
Um die Subjektive von Myst zu erhalten, müsste man doch das Spiel in der 2. Person schreiben, oder nicht?

Ja, würde ich auch sagen, das entspricht aber nicht der Subjektive aus Filmen, denke ich. Und jetzt die Preisfrage: Wenn die Subjektive aus Myst einem Text in zweiter Person entspricht (was sag ich denn die ganze Zeit *g*), wie müsste das Spiel dann aussehen, um einem Text in Ich-Form zu entsprechen? Ansicht der Spielfigur von außen? Imho entspricht diese Ansicht ebenfalls der 2. Person. Gibt ja inzwischen auch genug Spiele, die unbeschwert zwischen beiden Ansichten hin- und herwechseln.

Aber ich will dir die Ich-Perspektive auch nicht madig machen. Wenn dir diese besser gefällt als Texte in der 2. Person, gut.
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Mo
BeitragVerfasst am: Fr, 14 Mai 2004 - 22:52  Antworten mit Zitat
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Anmeldungsdatum: 25.08.2002
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ChristianB hat folgendes geschrieben:
Wie ist es denn z.B. bei Spielen wie Mario – das ist doch auch eine Form interaktiven Geschichtenerzählens, oder? Die Spielfigur steht z.B. auf einem Feld rum, nur sagt sie es nicht, man sieht sie ja.

Nicht die Spielfigur sagt es, sondern das Spiel bzw. die Erzählinstanz zeigt es, wie ChrisW schon schrieb. (Trennung von Autor, Erzähler und Figur!) Genau deswegen kommt in diesem Fall kein "ich" vor, sonst müsste Mario ja einen außerkörperlichen Geist haben und sich selbst betrachten können: "Ich, Mario, sehe mich selbst auf einem Feld stehen."

ChristianB hat folgendes geschrieben:
Ich empfinde ein interaktives Spiel (grafisch oder mit Text) als Kommunikation zweier Teilnehmer, Spieler und Spielfigur - wobei das Medium (das Spiel) im besten Fall nicht als kommunizierende Instanz wahrgenommen wird.

Sicher, ein Spiel mit sehr durchdachtem Gameplay/Parser wird genauso "unsichtbar" wie ein gut geschriebenes Buch oder ein gut gedrehter Film. Im Idealfall wird das Medium als solches nicht mehr "empfunden", aber es bleibt natürlich nach wie vor eine kommunizierende Instanz, da es ohne das Medium ja gar keine Kommunikation gäbe. (Analogie: Nur weil ein Buch so spannend ist, dass ich alles um mich herum vergesse, verschwindet das Buch nicht einfach.)

ChristianB hat folgendes geschrieben:
Dann gäbe es in dem Adventure plötzlich eine Spielfigur, die nicht der Spieler selbst ist – und die gibt es in Myst nicht.

Es gibt eine Spielfigur, nur ist die nicht besonders genau definiert. Genau diese kommt gerade in Textadventures extrem häufig vor und wird manchmal auch AFGNCAAP genannt (ageless, faceless, gender neutral, culturally ambiguous adventure person).

Myst ist ein sehr gutes Beispiel für die Du-Form. Bei einer Nacherzählung in Ich-Form kämen unweigerlich die Fragen: Wer ist denn dieser Ich-Erzähler? Wo kommt er her? Was denkt er? Mit der Du-Form verschmelzen Leser und Figur zu einer "Handlungsinstanz", die dieses Maß an Subjektivität erst zulässt. Oder anders: ein "ich" hat noch zuviel eigenständigen Charakter, was ja gerade in Spielen wie Myst und vielen Textadventures vom Autor unerwünscht ist.

Das soll dich aber nicht davon abhalten, Spiele in Ich-Form zu programmieren. Vielleicht kannst du dieses "Ich" ja ganz konsequent ausnutzen und so ein Spiel schreiben, dass mit einem "Du" gar nicht möglich wäre? Das wäre mit Sicherheit sehr interessant.
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